Zyklus eines Hornissenstaates

Fotos: Frank Hornig

Wenn Anfang Mai die Temperaturen steigen und die Sonne bei Flora und Fauna die Lebensgeister endgültig weckt, regt sich mitten in einem Holzstapel oder vielleicht unter der Rinde eines knorrigen Baumes eine junge Hornissenkönigin und bringt ihre Atmung und ihre Herztätigkeit wieder auf  Touren.

Den Winter über hatte sie ihre Lebensfunktionen auf ein Minimum reduziert, hatte dank des körpereigenen Frostschutzmittels Glycerol den Winterfrost überlebt und war nur knapp der Nahrungssuche eines Spechtes oder einer Spitzmaus entgangen.

Die erste Mahlzeit

Die junge Königin ist allein und nur wenn sie überlebt, wird es ein neues Hornissenvolk geben. Die letzten Arbeiterinnen des Volkes, aus dem sie stammt, sind alle schon im letzten Oktober oder spätestens im November gestorben. Die meisten ihrer königlichen Schwestern haben die Härte des Winters, Parasiten und Pilzkrankheiten sowie andere Gefahren nicht überlebt.

Die Hornisse kriecht langsam in die Sonne und tankt erst mal ein wenig Wärme. Dann sucht sie nach zusätzlicher Energie. Sie sucht sich eine junge Esche und "ringelt" d.h. sie verletzt die Rinde ein wenig, um den süßlichen Pflanzensaft aufnehmen zu können. Diese Nahrung versorgt sie mit Kohlehydraten. Außerdem nimmt sie gierig Nektar von verschiedenen Blüten (z.B. Berberitzen) auf. Dabei nimmt sie eine Wespenkönigin wahr, die kurz darauf ihre erste Mahlzeit wird. Dieser fette Brocken enthält viel Eiweiß - das ist für die Aktivierung ihrer Eierstöcke notwendig.

Königin, mit dem Kopf nach unten hängend, zerteilt erbeutete Wespe

Schwierig: Nistplatzsuche

Jetzt ist es wichtig, einen geeigneten Platz für den Nestbau zu finden. Doch das ist nicht leicht. Natürliche Nistmöglichkeiten sind in vielen Regionen knapp. Alte hohle Bäume gibt es leider viel zu selten. Oft werden sie abgeholzt und wenn es sie gibt, sind sie oft schon von wehrhafter Konkurrenz besetzt - von anderen Hornissen oder höhlenbrütenden Vögeln.

Also bleibt unter Umständen nur eine künstliche Behausung. Mit etwas Glück ein findet sich ein Hornissenkasten oder ein Meisenkasten, der aber meistens schnell zu eng wird. Im Siedlungsbereich sind die Alternativen Schuppen, Hohlräume hinter Holzverkleidungen, Garagen etc. Doch diese Orte sind nicht immer unproblematisch. Es folgt oft die Vertreibung oder Vernichtung aufgrund überzogener Ängste, die auf alten Vorurteilen beruhen. Hornissen sind friedfertig, sie umschwirren auch keine Kuchenteller und ihre Stiche sind nicht gefährlicher als Bienen- oder Wespenstiche, aber sie werden immer noch aus Angst und Unwissenheit getötet.

Jede Hornisse, die im Mai oder Anfang Juni getötet wird, bedeutet den Tod eines ganzen potentiellen oder schon in Ansätzen vorhandenen Volkes. Denn in diesem Fall handelt es sich fast immer um eine Königin.

Königin verlässt Nistkasten

Die kritische Phase

Hat die Jungkönigin nach vielen Schwierigkeiten dann doch ein Nistplatz gefunden, geht es ans Bauen des Nestes. Dazu raspelt sie Holzsplitter mit ihren kräftigen Kiefern und vermischt sie mit ihrem Speichel. Daraus entsteht eine papierartige Masse, die sie zum Nestbau verwendet. Zuerst besteht das Nest nur aus wenigen Zellen, in die jeweils ein Ei gelegt wird. Daraus entwickeln sich dann die ersten Arbeiterinnen.

Doch bis diese dann über ihr Larven- und Puppenstadium hinaus sind und als fertige Arbeiterinnen erstmals das Nest verlassen, um der Königin unter die Arme zu greifen, so dass diese das Nest nicht mehr verlassen muss, vergehen noch fünf Wochen.

In diesen fünf langen Wochen hängt das Überleben des ganzen Volkes immer noch ganz allein von der Königin ab. Wird sie getötet oder findet sie aufgrund schlechter Wetterbedingungen zu wenig Insekten dann stirbt die gesamte Brut. In dieser Phase ist die Königin einem ernormen Stress ausgesetzt. Sie allein ist zuständig für den Nestbau, das Eierlegen, die Jagd und die Brutpflege.

Der Höhepunkt

Wenn genügend Arbeiterinnen vorhanden sind und die Königin das Nest nicht mehr verlassen muss, ist die kritische Phase überstanden. Die Königin muss sich keinen unnötigen Gefahren mehr aussetzen. Sie kann sich jetzt ganz auf das Eierlegen konzentrieren. Dadurch wächst das Volk bis Mitte August auf ca. 300 - 700 Individuen an. Die Nester können jetzt Maße von 70 x 40 cm erreichen. Der Bedarf an eiweißreichem Futter für die Larven hat stark zugenommen. Um sie zu versorgen, müssen die Arbeiterinnen ständig Insekten erbeuten. Ein gut entwickeltes Hornissenvolk kann an einem Tag bis zu ein Pfund Insekten erbeuten.

Zu diesem Zeitpunkt (ca. Mitte August) beginnt die Königin dann damit, abwechselnd befruchtete und unbefruchtete Eier zu legen. Aus diesen entwickeln sich dann dann bis Mitte September junge Königinnen und die Männchen (Drohnen), also Geschlechtstiere.

Diese halten sich dann noch eine Weile im Nest auf und lassen sich füttern, bis sie schließlich an einem schönen Spätsommertag ausfliegen, um sich zu paaren und nicht zum Nest zurückzukehren. Die verpaarten Königinnen suchen sich sofort ein Versteck, um zu überwintern und im nächsten Jahr ein neues Volk zu gründen. Die Drohnen sterben bald nach der Paarung.

Der Kreis schließt sich

Anfang Oktober schließlich ist die alte Königin schon ein Jahr alt, zu Tode erschöpft und hat ihre Flugfähigkeit schon verloren. Sie verlässt das Nest oder fällt einfach von den Waben und stirbt. Bis Anfang November sterben auch die restlichen Arbeiterinnen. Das Volk zerfällt und geht zugrunde. Nur die begatteten Jungköniginnen sind schon längst an ihrem Überwinterungsplatz. Vielleicht mitten in einem Holzstapel oder unter der Rinde eines alten, knorrigen Baumes.

Alte Königin mit zerschlissenen Flügeln am Boden des Nistkastens

Von mehreren hundert Jungköniginnen, die sich gepaart haben, überleben ca. zehn den Winter und einer wird vielleicht im nächsten Jahr der Aufbau eines neuen Volkes gelingen.

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